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Mutmacher aus der Neurobiologie

Glaubt man dem Neurobiologen, Hirnforscher und Pädagogen Gerald Hüther, so stehen wir Menschen rein hirnbiologisch gesehen noch ganz am Anfang unserer Möglichkeiten. Ob im Umgang mit Kindern, mit Kollegen und Mitarbeitern, mit alten Menschen und mit uns selbst: Wir sind es gewohnt, alles als Ressource anzusehen. Kein Wunder, dass ‘Burn-Out’ die Krankheit unserer Zeit ist, dass wir uns vor Krisen nicht retten können. Denn auch eine Gesellschaft kann kollektiv ihre Begeisterungsfähigkeit verlieren. Dann dümpelt man in Routinen dahin, man funktioniert, aber man lebt nicht mehr.

Gerald Hüther plädiert für ein radikales Umdenken: Er fordert den Wechsel von einer Gesellschaft der Ressourcennutzung zu einer Gesellschaft der Potentialentfaltung, die auch dem Einzelnen  mehr Raum und Zeit für das Wesentliche ermöglicht. Der Autor nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise und zeigt uns, wie die Menschheit zu ihrer gegenwärtigen Verfassung gekommen ist und wie eine positive Zukunftsperspektive aussehen könnte.

Entwicklung kultureller Fähigkeiten

Hüther begründet die Sonderstellung und zugleich die besondere Verantwortung des Menschen damit, dass wir  nicht wie die Tiere durch Instinkte an Anpassungsleistungen in bestimmten Lebenssituationen gebunden sind.  Durch seine verlangsamte Entwicklung, so seine These, besitzen wir ein viel lernfähigeres Gehirn. Dadurch können wir kulturspezifische Fähigkeiten bzw. Fertigkeiten und individuelle innere Bilder entwickeln.

Dies ermöglicht uns eine Orientierung in der Welt und eine aktive Gestaltung derselben. Die jeweilige Lebenswelt entscheide, welche Fähigkeiten und das dazu passende Gehirn sich entwickelt. Wirklich gut lernt der Mensch, wenn Begeisterung im Spiel ist. Sie ist sozusagen der “Dünger” für die grauen Zellen.

Die aktuelle Lage, so Hüther, und die Tatsachen dessen, was wir aus unserer perfekt geschaffenen Welt gemacht hätten, lässt nur den Schluss zu, dass wir erst eine “Kümmerversion” des Menschen seien, die wir eigentlich sein könnten. Der Wissenschaftler sieht dabei einen Zusammenhang darin, dass die meisten Menschen unter Bedingungen aufwachsen, „die dazu führen, dass die prinzipiell vorhandenen Möglichkeiten zur Ausbildung eines hochkomplexen, vielfach vernetzten und zeitlebens lernfähigen Gehirns nicht ausgeschöpft werden“.

Die Beziehung untereinander ist entscheidend

Ein paar wichtige Erkenntnisse aus dem Buch für mich: Hüther weist uns auf unsere Entwicklungsgeschichte hin: Wir sind als Menschen miteinander verbundene Wesen und voneinander abhängig. In der aktuellen Zeit lösen sich die historischen Grenzen zwischen den Gemeinschaften auf. Bereits für unsere Großeltern war die heutige Situation der Völker in Europa praktisch unvorstellbar.

Im Unterschied zu allen anderen Spezies ist die Entwicklung des menschlichen Gehirns extrem abhängig von der emotionalen, sozialen, und intellektuellen Kompetenz der Bezugspersonen. Unser Gehirn ist also stark von unserer Beziehungserfahrung und vor allem unserer Bewertung der Erfahrungen geformt. Hüther sagt, es sei ein Sozialorgan! Daher passt sich unser Gehirn an die Erfordernisse der sozialen Gemeinschaft an. Der Gemeinschaft, in der wir aufwachsen und der wir uns verbunden fühlen.

Leistungsdruck und Ganzheitlichkeit

Mit Blick auf die Unternehmen stellt Hüther fest, dass vor allem die Idee des Wettbewerbs unser Zusammenleben stark geprägt hat. So haben wir auch Darwin interpretiert. Dies hat zum Leistungsdruck in Schulen und Betrieben geführt, dem wiederum eine „stromlinienförmige Angepasstheit“ auf den Fuß folgt.

Was wir jedoch mehr denn je brauchen, ist der Umgang mit Komplexität und Beziehungsfähigkeit. Wir stellen nun langsam fest, dass – erstmals seit der Aufklärung! – unsere zu starke Betonung des rationalen Denkens uns als Gesellschaft, ja als Menschheit insgesamt, nicht weiterbringt, sondern eher hemmt.

Um komplexe Entscheidungen zu treffen und überhaupt Zusammenhänge zu verstehen, müssen wir die verloren gegangene Einheit von Denken, Fühlen und Handeln wiederfinden. Und mehr darauf achten, was wir uns gegenseitig alles einreden. Vielleicht gelingt es uns dann, wieder mehr unsere Grundbedürfnisse nach Verbundenheit und Nähe einerseits und nach Wachstum, Autonomie und Freiheit andererseits zu stillen.

Vision für die Zukunft

Was für eine Vision, was für ein Auftrag an uns Menschen – ganz besonders mit Blick auf die Situation der Welt und der Menschheit insgesamt! Gehen wir es also an. Und nutzen wir unser Gehirn dafür. Mit Begeisterung! Ein Buch, das Mut macht und zum Nachdenken anregt.

» hier geht’s zum Buch

Prof. Dr. Gerald Hüther zählt zu den renommiertesten Hirnforschern Deutschlands. Er wurde 1951 in Gotha geboren, hat in Leipzig studiert und in Jena promoviert, bevor er zum Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen wechselte. Gerald Hüther interessiert sich vorwiegend für die frühen Erfahrungen im menschlichen Leben und deren Einfluss auf die Hirnentwicklung, wozu vor allem emotionale Reaktionen wie Angst und Stress gehören. Seine Erkenntnisse veröffentlicht Hüther nicht nur für die Fachwelt, sondern auch in – auch für Laien – gut zugänglichen Sachbüchern.

Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten: Ein neurobiologischer Mutmacher. Fischer Verlag 2013, 192 Seiten, ISBN: 978-3596188505.

Foto: Markus Blaschka