Rückenwind in der neuen Führungsrolle
„Ab nächstem Monat sind Sie der Chef!“ Ein Satz aus dem Munde von Vorgesetzten, der sich für viele erstmal verlockend anhören mag. Mehr Gehalt, mehr Entscheidungskompetenz, mehr Privilegien. Aber auch: mehr Verantwortung und meist auch mehr Arbeit. Der ersten Begeisterung folgt dann auch schnell die Ernüchterung. Die wenigsten sind die geborenen Führungspersönlichkeiten. Häufig wird man für die neue Führungsrolle auch nicht systematisch aufgebaut und weitergebildet, sondern wird ins „kalte Wasser“ geschmissen. Wieweit kann hier ein Business Coaching helfen, systematisch in die neue Aufgabe hineinzuwachsen?
Neue Herausforderungen
Ein weiterer wichtiger Punkt ist heute, dass mit der Einführung agiler Methoden im Unternehmen bzw. einem agilen Mindset Führung ganz neu definiert wird. Der Verlust eines Jobtitels oder einer Rolle, die auf „Manager“ endet, der Abbau von strikten Hierarchien und der virtuose Umgang mit Gruppendynamiken und im Motivieren von Teams können zu einer echten Herausforderung werden.
Die Herausforderungen in der konkrete Situation wollen wir uns mal am Beispiel von Rainer Buchholz* anschauen. Er ist seit 15 Jahren gefragte Fachkraft und seit drei Jahren Teamleiter bei einem bayerischen Mittelständler. Führungskraft sein und ein Team führen. Prozesse und Produkte mitgestalten. Entscheidungen treffen, ein eigenes Budget verwalten. So sieht das neue Aufgabenspektrum von Buchholz aus.
Schwerer Übergang zur Führungsrolle
Der langgediente Chef ging und er hatte sich im Rennen um dessen Posten gegen einen Bewerber von außerhalb durchsetzen können. Ein halbes Jahr hatte es gedauert, bis der Vorstand endlich seinen Entschluss bekannt gab. Eine Zeit, die Rainer ewig vorkam. Nun sind wieder knapp sechs Monate vergangen, seit ihn die Kollegenschaft feierlich zum Chefposten beglückwünscht haben. Die Feierstimmung ist verflogen. Ganz neue Probleme lasten auf ihm.
Rainer hat sich an seine Personalentwicklung gewandt, weil er bereits nach den ersten Wochen gemerkt hat, dass ihm der Übergang von seiner früheren Rolle in die der Führungskraft schwerer fällt als gedacht. Die Kollegin aus der PE hat ihm einen Business Coach aus dem unternehmenseigenen Coachpool vorgestellt, mit dem Rainer nun seine Themen angehen will.
Gefühle von Einsamkeit
Rainer sitzt im großzügigen Office mit eigener Sekretärin und kommt sich recht allein vor. Davor saß er im offenen Büro mit 20 Kollegen in Hör- und Reichweite. Nun thront er ein Stockwerk über ihnen, und wenn es etwas zu besprechen gibt, greift Rainer zum Telefon. Gäbe es die 9-Uhr-Konferenz am Montag nicht, hätte Rainer manchmal tagelang keinen persönlichen Kontakt zu seinen Leuten. Dass er Einsamkeit empfindet, überrascht ihn selbst.
Der Coach ist der Erste, dem Rainer davon erzählt. Nicht mal seiner Frau hat er sich anvertraut. Er wollte so führen, wie er gerne selbst geführt worden wäre. Als Teamleiter hatte das im kollegialen Miteinander gut geklappt. Nur hatte er sich dabei nicht wirklich als Vorgesetzter gefühlt.
Fragen von Stil und Etikette
Rainer, der in seiner Freizeit Marathon läuft und in der Vergangenheit mit einigen Kollegen hin- und wieder wandern ging, war vorher sportlich-leger gekleidet. Nun fragt er sich, ob er täglich im Anzug herumlaufen muss. Abgesehen davon: Ist es noch okay, als Chef in der Führungsrolle mit diversen Mitarbeitern Berg zu steigen? Sähe das nicht so aus, als würde er diese irgendwie bevorzugen? Gedanken macht er sich auch über seinen sonst eher saloppen Tonfall.
Was im Team kein Problem ist, wurde ihm neulich beim Mittagessen fast zum Verhängnis, als er eine spitze Bemerkung über eine neue Kollegin aus der Führungsriege machte. Die stellte ihn danach zur Rede stellte. Mit den Gepflogenheiten der neuen Kollegen aus der „oberen Etage“ hat er sich ebenso noch nicht anfreunden können: Ein geschlossener Kreis, der gemeinsam zu Mittag isst, und der Mitarbeiter fast nur in Meetings persönlich begegnet. Rainer dagegen würde mit seinen früheren Mitarbeitern und Kollegen gern auch mal wieder die Mittagspause verbringen.
Fiktive Bilanz nach zehn Jahren als Chef
Mit dem Coach geht es daher in den ersten Sitzungen vor allem um Fragen wie: Was macht diese neue Rolle mit mir? Welche Eigenschaften werden erwartet und was davon kann ich „liefern?“ Will ich überhaupt diesem Bild entsprechen?
Rainer wird klar, dass die Fußstapfen des alten Chefs doch größer sind als gedacht und die Umgewöhnung auch bei der Belegschaft Zeit braucht. Der Coach dreht mit Rainer ein Videointerview, in dem dieser fiktiv aus der Zukunft nach zehn Jahren im Chefsessel rückblickend Bilanz zieht: Was ist ihm in der Führungsrolle geglückt? Wofür schätzen ihn seine Mitarbeiter? Was hat er anders gemacht als sein Vorgänger? Wohin hat er die Firma geführt?
Weiter stößt Rainer auf das Problem, dass sein eigener Gestaltungswille (zeitgemäßes Marketing, mehr Geld für die Entwicklung, Intensivierung der Auslandsgeschäfte) die Mitarbeiter und Abteilungsleiter wohl überfordert. Aus verschiedenen Reaktionen im Betrieb wird Rainer schnell klar, dass er neue Werkzeuge braucht, um die in Teilen von Trägheit und Tradition geprägte Denkweise in seiner Firma zu überwinden. Der Coach hilft ihm, einen Handlungsplan zu entwerfen.
Mehr Kommunikation im Unternehmen
Zum Beispiel lernt Rainer, kurze Mitarbeitergespräche abzuhalten (ein Sofort-Rezept gegen Rainers Gefühl, abgeschnitten und allein zu sein), überhaupt für mehr Kommunikation im Unternehmen zu sorgen – was früher undenkbar war. Der Chef entschied, aber bezog niemanden in seine Entscheidungen mit ein. Also war auch niemand außer ihm verantwortlich für Erfolg oder Misserfolg der Firma.
Rainer will das in seiner neuen Führungsrolle gerne ändern. Doch ihm wird klar, dass dies in der neue Führungsrolle nur Schritt für Schritt und mit geeigneten sozialen Maßnahmen möglich sein würde. Mit Hilfe des Coachs lernt der neue Chef, seinen eigenen Führungsstil herauzusarbeiten, mit dem er sich identifiziert und der die Belegschaft nicht überrumpelt.
Eigene Linie vorgeben
In den vertraulichen Gesprächen mit dem Coach wurde Rainer auch bewusst, dass er sich bereits nach wenigen Wochen als Geschäftsleiter in den ausgetretenen Fußstapfen des Ex-Chefs bewegte. Die übrige Führungsriege machte weiter wie bisher, weil Rainer ihnen keine neue Linie vorgab. Dabei war er doch ein absoluter Teammensch, der immer der Meinung gewesen war: „Gemeinsam sind wir stark und schaffen es.“
Ihm wurde klar, dass er den Führungskreis „nach unten“ hin öffnen musste: für mehr Kommunikation und sozialen Austausch zwischen Führung und Belegschaft. Zu seinen ersten praktischen Maßnahmen wurde das erste gemeinsame Firmen-Sommerfest. Statt eines teuren Cateringservices konnte er drei aufgeschlossene Kollegen aus dem Führungskreis dazu bewegen, sich als Grillmeister einzubringen, was am Ende allen großen Spaß gebracht hat.
Führung als Inspiration
Probleme wie Rainer sie hatte, zeigen sich oft bei neu „angekommenen“ Führungskräften. Sie sind voller Ideen und Tatendrang, das höhere Gehalt und das Prestige pushen zusätzlich. Oft kommt nach ein paar Wochen der erste mentale Knick, wenn klar wird: Auch in der neuen Führungsrolle läuft alles wie gehabt, und Anerkennung als Vorgesetzter muss man sich erst mal „verdienen“. Das sind allerdings oft auch Gedankenkonstrukte, die tief in uns verankert sind. Etwa die, dass Führen harte Arbeit bedeutet.
Dabei kann Führung erfüllend und inspirierend sein. Man ist damit auch ein Rollenmodell für andere. Man führt zunächst aber sich selbst – und hat es ohne ein Bewusstsein für innere Führung und ohne ein klares Führungsverständnis schwer. Führungskräfte oder frisch gebackene Geschäftsleiter wollen häufig auch zu schnell umgestalten und überfordern, wie Rainer, ihre Mitarbeiter. Diese sollte da abgeholt werden, wo sie sich befinden und dafür gibt es in Unternehmen meist Bindeglieder wie Abteilungs- und Teamleiter sowie Betriebsräte.
Führungskultur auf Augenhöhe
Oft liegt es aber weniger am Wollen der Belegschaft, sondern an mangelnder Kommunikation. Und daran lässt sich erfreulicherweise immer arbeiten! Wie im Übrigen eine „Führungskultur auf Augenhöhe“ aussehen kann, habe erst vor kurzem in einem eigenen Blogbeitrag vorgestellt. Aus meiner Sicht immer noch aktuell ist auch der Klassiker „Reinventing Organizations: Ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Organisationen“ von Frédéric Laloux. Er gibt wertvolle Hinweise zur Entwicklung einer zeitgemäßen Firmenkultur. Weitere Blogbeiträge zum Thema Führung gibt’s hier.
Gerade in einem Umfeld sich schnell verändernder globaler Märkte, neuer Herausforderungen und tiefgreifender Transformationsprozesse sind Unternehmen und Führungskräfte heute mehr denn je gefordert. Ein professionelles Business Coaching kann viele Anlässe haben und eine wertvolle Unterstützung dabei bieten. Informieren Sie sich hier über unsere Themen oder vereinbaren Sie gleich ein kostenfreies 30-Minuten-Gespräch mit mir.
*Rainer Buchholz heißt in Wirklichkeit anders. Klienten und ihre Themen behandle ich streng vertraulich.