(Selbst-) Führung in unruhigen Zeiten
Die Ballung aktueller Krisen nach Jahrzehnten des Friedens – zumindest im Westen – dürfte in dieser Häufung und Dramatik in den letzten 200 Jahren relativ einmalig sein. Immer mehr gerät dabei auch die Art unseres bisherigen Lebensstils und Wirtschaftens in den Fokus der Kritik. Sowohl in der Politik, den Medien wie auch in Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Zusammenleben zeigt sich zunehmend, dass bisher gewohnte Strategien zur Krisenbewältigung immer mehr ins Leere laufen.
Vor allem für Führungskräfte hat dies einschneidende Konsequenzen. Nach den durch Globalisierung und Digitalisierung angestoßenen großen Strukturveränderungen erzwingen Rohstoff-, Energie- und Fachkräftemangel, Abriss der Lieferketten, disruptive Technologien und zum Teil schwer kalkulierbare Märkte neue Strategien und schnelle Entscheidungen. Aber auch Führungskräfte arbeiten nicht im luftleeren Raum. Gerade angesichts zunehmender Existenzängste und gesellschaftlicher Verwerfungen sind sie besonders gefordert, das „Schiff“ des eigenen Unternehmens sicher durch raue See zu steuern.
Führungskräfte im Krisenmodus
Nicht zuletzt sind es die Netzwerke Gleichgesinnter und von Freunden, die uns in Zeiten der Krise immer wieder zuverlässig Orientierung geben können. In diesem Sinne darf ich heute meinem langjährigen Netzwerkpartner Dr. Peter Zoller aus dem oberbayerischen Bad Feilnbach den Ball für einen Blogbeitrag zuspielen. Er ist als Führungskraft, Trainer und IT-Experte mit langjähriger Erfahrung in der Führung teils international verteilter Teams, in agiler Transformation und dem Projektmanagement in der Automobilindustrie genau passend. Er hat sich eingehend damit beschäftigt, wie Führung gerade in unruhigen Krisenzeiten im mittleren und Top-Management gelingen können.
Eins vorweg: Die aktuellen Krisen belasten alle Menschen. Führungskräfte sind jedoch dreifach betroffen. Sie sollen sich selbst und das Wohl der eigenen Familie im Auge haben. Dazu kommen die Mitarbeiter des Unternehmens, die Orientierung und Motivation erwarten. Nicht zuletzt erfordern gerade in der aktuellen Zeit die besonderen Herausforderungen für das Unternehmen Besonnenheit und hohe Einsatzbereitschaft.
Stärke durch aktive Selbstführung
Eine der wichtigsten Aufgabe gerade für Führungskräfte ist aus meiner Sicht die Selbst-Führung. Damit ist keineswegs irgendeine Form von Egoismus gemeint, sondern der Erhalt der eigenen Gesundheit und Handlungsfähigkeit. Wie elementar dies ist, sieht man analog bei den Anweisungen zum Verhalten im Krisenfall im Flugzeug: „Im Falle des Druckabfalls zuerst die eigene Maske aufsetzen, dann Kindern und anderen Personen helfen.“
Fragt sich nur: Wie? Viele gute Tipps wie Yogakurse, Sportverein bzw. Fitness-Studio oder soziales Engagement sind angesichts knapper Zeitbudgets schwierig umzusetzen, kollidieren mit Familieninteressen oder stehen bereits lange auf der Agenda.
Bewegung in den Berufsalltag integrieren
Mein Tipp: Statt ein überambitioniertes Sportprogramm im Auge zu haben und an seinem hohen Anspruch zu scheitern, sollte man unter dem Motto „Bewegung geht überall“ drei Mal pro Woche 30 Minuten Bewegung fest im Kalender einplanen. Das kann der schnelle Spaziergang in der Mittagspause sein, die „laufende Rücksprache“ im wörtlichen Sinn mit einem Mitarbeiter oder ein flotter morgendlicher Rundgang um das Firmengelände zur geistigen Vorbereitung auf den Arbeitstag. Zusätzlich kann man tagsüber öfter die Treppe statt den Aufzug benutzen und – auch außerhalb des Büros – kleinere Erledigungen konsequent zu Fuß machen. Mindestens ebenso wichtig wie Bewegung ist eine gesunde Ernährung, die den Körper mit allen wichtigen Vitalstoffen versorgt. Das lädt den inneren Akku auf.
Stressfaktoren auf den Grund gehen
Der nächste Punkt: Stress. Das Empfinden von Stress ist immer subjektiv, jeder Mensch reagiert auf andere Auslöser. Daher ist es wichtig, sich, etwa während der vorher beschriebenen Bewegungsphasen, die Frage zu stellen, warum bestimmte Situationen, Sachverhalte oder Personen Stress bei mir auslösen. Welcher innere Antreiber ist hier aktiv oder welches Bedürfnis wird unterdrückt und macht sich deshalb umso stärker bemerkbar? Kann ich dieses eventuell auf andere Weise befriedigen? Erkenne ich daraus gegebenenfalls für mich nachteilige Verhaltensmuster und woher kommen diese? Stecken vielleicht unbewusste Ängste dahinter? Gespräche mit einer Person des Vertrauens, zum Beispiel aus dem Freundeskreis oder einem Coach, können hierbei eine große Hilfe sein.
Gerade Menschen mit Hang zum Perfektionismus oder ausgeprägtem Verantwortungsbewusstein – sie sind leider besonders Burnout-gefährdet – sollten sich bewusst machen: Verantwortung hat man nicht nur für andere, sondern auch sich selbst gegenüber. Setze ich diese Stärke eigentlich auch gezielt für mich selbst ein oder nur für andere?
Leicht kann sich in Zeiten hoher Belastung ein Gefühl von Hilflosigkeit, Überforderung oder eine Art von Getriebensein einstellen. Oft liegt gerade darin ein besonderer Stressfaktor. Der Versuch, die Situation durch noch mehr Anstrengung und Druck in den Griff zu bekommen, verschlimmert das Ganze noch. Das gilt auch für Versuche, das Umfeld (Chef, Arbeitskollegen, Familie oder Partner) aktiv verändern zu wollen. Erkennen Sie sich wieder? Dann sind sie nicht allein!
Die eigene Wahrnehmung neu justieren
Der einzige Ausweg in dieser verfahrenen Situation scheint mir darin zu liegen, die eigene Wahrnehmung oder Einstellung zu verändern. Damit meine ich, sich immer wieder bewusst zu machen, dass wir in den allermeisten Fällen einer Situation eben n i c h t hilflos ausgeliefert sind, sondern stets selbst entscheiden und aktiv handeln können.
Wohl niemand in unserer Gesellschaft ist glücklicherweise durch lebensbedrohliche Konsequenzen dazu gezwungen, alle Erwartungen seines beruflichen und privaten Umfeldes zu erfüllen.
Ob ich den vom Chef bis heute Abend gewünschten Bericht also noch erstelle oder nicht, ist meine Entscheidung. Ebenso, ob ich mit meinen Kindern heute Abend ins Kino gehe oder nicht. Natürlich zieht jede Entscheidung Konsequenzen nach sich, die durchaus manchmal weitreichend und auch negativ sein könnten. Trotzdem sind diese in der Regel nicht lebensbedrohlich, und ich kann diese Entscheidungen selbst bewusst treffen.
Mit geistigen Freiräumen experimentieren
Hier tut es mitunter gut, sich ein wenig geistigen Freiraum zu schaffen, zu experimentieren und auch mal das Zauberwort „Nein!“ zu benutzen. Viel zu oft erfüllen wir die Erwartungen anderer sofort und unhinterfragt. Wer hat noch nicht erlebt, dass die so dringend bis Abends benötigte Vorlage erst einige Tage später oder gar nicht zum Einsatz kam?.
Sie wissen selbst am besten, wo „Gefahr im Verzug“ ist bzw. dringender Handlungsbedarf besteht und wo durchaus Freiräume bestehen weil das Risiko tragbar ist. Probieren Sie es aus und kommen so ins Handeln. Bleiben trotz Priorisierung immer noch zu viele Themen übrig, entscheiden Sie nach persönlichen Wertigkeiten.
Das Ego zurückstellen
Der langfristig wirksamste Hebel zu mehr innerer Gelassenheit ist die Fähigkeit, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Wenn mein Ego nicht der Maßstab aller Dinge und meines Handelns ist, darf ich auch Fehler machen und Schwächen zugeben. Das reduziert den Druck, erleichtert die Fokussierung auf die anstehenden Aufgaben und schafft mehr Authentizität und Akzeptanz als Führungskraft. Das Buch „Beyond Ego“ von Thor Olafsson ist hierzu ein inspirierender Wegbegleiter für Führungskräfte.
Last but not least geht es darum, Hilfe und Austausch aktiv zu suchen und anzunehmen. Da bietet der Aufbau und die Pflege eines Netzwerks aus Kollegen, Freunden, Führungskräften oder Bekannten gute Möglichkeiten. Gerade im Gespräch verliert manches Problem erfahrungsgemäß an Größe und Bedrohlichkeit.
Mitarbeitern und Teams Stärke geben
Kommen wir nach der Selbstführung zu unserer zweitwichtigsten Aufgabe: der Teamführung. Ohne ihr Team ist eine Führungskraft wirkungslos! Der Börsen-Guru Warren Buffet drückte es treffend so aus: „Eine Führungskraft ist jemand, der Dinge durch andere Menschen schafft.“ Eine Führungskraft, die sich in aktueller Lage nur noch um Lieferketten, Strategie oder Finanzen kümmert, agiert wie der Holzfäller, der vor lauter zu fällenden Bäumen keine Zeit zum Schärfen seiner Axt mehr findet. Und der am Schluß deshalb keinen einzigen Baum mehr fällen kann.
Gerade in dieser so schwierigen Zeit gilt es umso mehr, Mitarbeiter und Teams zu stärken. Die Benefits sind höhere Mitarbeiterzufriedenheit und weniger Krankheitstage. Dazu kommen nachweislich bessere Arbeitsergebnisse und weniger Aufwand bzw. Stress für die Führungskraft.
Vertrauen schenken und Sorgen wahrnehmen
Worauf sollten Sie dabei besonders achten? Vertrauen zu schenken ist meiner Erfahrung nach ist der mit Abstand wichtigste Faktor für erfolgreiche Teams. Menschen, die das Gefühl haben, dass die Führungskraft ihnen vertraut, sind motivierter, engagierter, kreativer und mutiger. Stellen sie sich doch mal selbst vor, wie sie sich fühlen würden, wenn ihre Führungskraft ihnen nicht vertraut und jeden ihrer Schritte mit Argusaugen verfolgt und kontrolliert?
Die oft geforderte strikte Trennung von privatem und beruflichem Umfeld ist Unsinn, da gesunde Menschen im Normalfall keine gespaltenen Persönlichkeiten sind und Sorgen/Ängste sich nicht beliebig an- und abschalten lassen. Gespräche mit anderen Menschen helfen bei der Bewältigung. Als Führungskraft sollten Sie Ängsten uns Sorgen Raum geben und das eine oder andere Thema ja vielleicht auch mal selbst ansprechen.
Selbstwirksamkeit spüren lassen
Wie bei der Selbstführung gilt es auch hier, den Mitarbeitern das Gefühl der Hilflosigkeit zu nehmen, indem sie Autonomie und Selbstwirksamkeit erleben: Also möglichst viele Entscheidungen durch das Team selbst treffen lassen. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass die dazu nötigen Informationen und Skills in der Gruppe vorhanden sind. Ein solches Vorgehen
- stärkt das Selbstvertrauen der Teams
- fördert die Motivation und Eigenverantwortung
- lässt Menschen wachsen und
- entlastet die Führungskraft,
wenn Kontrolle abgegeben wird.
Die große Herausforderung für Führungskräfte besteht darin, Entscheidungen tatsächlich abzugeben. Also nicht doch am Ende alles nochmal zu kontrollieren und selbst freizugeben. Dies erfordert ein hohes gegenseitiges Vertrauen und erzeugt bei vielen Führungskräften ein Gefühl von Unsicherheit. Wer diese Hürde jedoch überwunden hat, wird von der Wirkung angenehm überrascht sein. Passend dazu fand ich das Zitat von Nico Rose: „Führungskräfte werden (wirk-)mächtiger, je besser sie Ohnmacht aushalten können“.
Das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken
Wer übrigens glaubt, dass diese Art der Führung nur in kleinen Start-ups funktioniert, sollte unbedingt das Buch „Turn the ship around“ (deutsche Ausgabe: „Reiß das Ruder rum“) von L. David Marquet lesen. Er hat als Kommandant eines Atom-U-Boots das bis dahin in der US-Navy übliche Leader-Follower-Prinzip in der Führung radikal durch ein Leader-Leader-Prinzip ersetzt. Damit erzielte er so überragende Erfolge, dass daraufhin das gesamte Ausbildungsprogramm der Navy entsprechend umgestellt wurde. Einer seiner Grundsätze lautet: Kontrolle abgeben!
Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist ein psychologisches Grundbedürfnis des Menschen und notwendige Voraussetzung für Motivation und Einsatzfreude. In vielen Studien wurde nachgewiesen, dass die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Arbeitgeber und vor allem mit ihrem Team eine wesentliche Grundlage für herausragende Arbeitsergebnisse darstellt.
Gerade in Phasen mit verstärktem Homeoffice-Einsätzen ist dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit besonders wichtig, aber auch schwer zu erreichen. Hier möchte ich wieder ein paar Tipps aus der Praxis geben.
- Führungskräfte sollten bewusst regelmäßige Möglichkeiten für (virtuelle) Treffen schaffen und auch selbst anwesend sein (z.B. Montag-Morgen-Kaffee, Team-Jour-Fixe, virtuelles Feierabend-Bier, …).
- Besonders auf introvertierte Mitarbeiter achten und ihnen bewusst Redezeit geben – diese Mitarbeiter gehen in Online-Meetings noch leichter unter als in Präsenz-Terminen.
- Eine Kultur des gegenseitigen Respekts und Helfens etablieren. Das heißt nicht, dass jetzt alle dicke Freunde werden. Aber man kann als Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen. Ein schönes Beispiel dafür war vor einiger Zeit in einemsozialen Netzwerk zu finden. Nach Eintreten einer kurzfristigen Covid19-Quarantäne eines alleinstehenden Mitarbeiters kaufte dessen Führungskraft Lebensmittel fürs Wochenende und fuhr in dichtem Schneetreiben eine geschlagene Stunde, um ihm diese am Freitagabend vor die Haustür zu bringen.
- Wichtig ist außerdem regelmäßiges konstruktives Feedback, das Menschen dabei hilft, zu wachsen.
Auf dieser Grundlage entstehen immer mehr kleine und größere Erfolgserlebnisse im Führungsalltag und gleichzeitig Freiräume für andere Brandherde wie Strategie, Lieferketten oder Energiekrise – und damit letztlich auch wieder mehr Freude am Führen.
Zur Person:
Dr. Peter Zoller aus Bad Feilnbach war nach dem Informatik-Studium und Promotion vier Jahre Mitarbeiter und Gesellschafter eines IT-Start-ups. Knapp 20 Jahre war er in der Automobilindustrie in den Bereichen IT, Entwicklung und Aftersales tätig, davon mehr als 15 Jahre als Führungskraft. Als selbstständiger Trainer und Berater kann der passionierte Langstreckenläufer bei seinen Führungskräftetrainings eine breite Palette an Führungsaspekten abdecken, sein Schwerpunkt liegt dabei auf den Themen persönliches Wachstum für Führungskräfte und Erfolgreiche Teams – getreu seinem Motto „Freude am Führen“. Weitere Infos zu Zollers Philosophie gibt es in seinem aktuellen Trainingskonzept.