Change-Management kritisch gesehen
Einstmals als Allzweckwaffe zur Anpassung an den schnellen technologischen Wandel sowie an wirtschaftliche Veränderungsprozesse gepriesen, hat der Begriff des „Change-Management“ heute viel von seinem Glanz eingebüßt. Wie Untersuchungen zeigen, wird nur bei 20 bis 25 Prozent der Maßnahmen das angestrebte Ziel erreicht. Nur 38 Prozent der Mitarbeiter (2010: 61 Prozent) fühlen sich noch gut in Change-Prozesse eingebunden und ausreichend informiert, wie eine aktuelle Studie der Beraterfirma Mutaree zeigt.
Faszinierend und aufschlussreich ist die Argumentationslinie von Professor Dr. Peter Kruse. Der 2015 verstorbene Psychologe, Neurophysiologe sowie Trend- und Zukunftsforscher hat sich mit Ordnungsprozessen in unserem Gehirn und Schlussfolgerungen für die Wirtschaft beschäftigt. Der Deutsche Bundestag hat regelmäßig auf seine Expertise vertraut.
Manager und Unternehmer
Im bereits zum Klassiker gewordenen YouTube-Clip zum Thema Change-Management spürt der Experte unter anderem dem Einfluss zielgerichteter Risikobereitschaft nach. Diese zeichne den echten Unternehmer zusammen mit einem Gespür für den Markt aus. Dieser Gesichtspunkt gehe bei den Betrachtungen über Change-Management und vielen Erfolgsstorys oft unter.
Einen fundamentalen Irrtum sieht Kruse darin, den Begriff des Change-Management mit dem griechischen Ausdruck des „Panta Rei“ (alles fließt) gleichzusetzen. Dieses beziehe sich nur auf die elementare Ebene. Alle höheren Ordnungssysteme wie auch Unternehmen hätten die Tendenz, stabile Zustände erreichen zu wollen und Ordnungsmuster zu bilden. Unter Change-Management versteht Kruse demnach den „Übergang von einem stabilen makroskopischen Ordnungsmuster zu einem anderen stabilen markroskopischen Ordnungsmuster“. Um diesen Prozess in Gang setzen zu können, müsse die „bestehende Stabilität gestört werden“.
Impuls durch krisenhafte Störung
Change-Management in einem Unternehmen definiert Kruse unter diesen Vorzeichen als „Bereitschaft, sich von einem stabilen Zustand über eine krisenhafte Störung zu einem neuen stabilen Zustand zu bewegen“. Ziel müsse immer das Funktionieren und die Handlungsfähigkeit auf einer stabilen Ordnungsebene sein und nicht das „Driften“ als Ausdruck des „Panta Rei“. Dies führe im Gehirn zu psychotischen Zuständen und in der Firma eben dazu, dass diese keine Geld mehr verdiene.
Ein Problem sei, so der Unternehmensberater, dass die Leute sich nicht auf das Risiko des Übergangs einlassen wollen und diesen deshalb trivialisieren. Hilfreich sei dagegen ein tieferes Verstehen der Prinzipien der Funktionsoptimierung und des Prozessmusterwechsels. „Wenn man strategisch mit diesem Unterschied umgeht, dann kann man als Management die Verunsicherung ertragen, die damit einhergeht, weil man ein höheres Ziel anpeilt“, erklärt Kruse im Video.
Keine Angst vor Veränderung
Er würde sich wünschen, dass Manager aus der „Idee des Steuerns und Regelns“ manchmal aussteigen würden, um sich mit ihren Mitarbeitern gemeinschaftlich eine „Phase des Übergangs zu neuen Mustern zu erlauben“. Der Preis der vorübergehend verringerten Steuerungs- und Leistungsfähigkeit wäre eine gute Investition, um das nächsthöhere Ordnungsmuster zu erreichen. „Das nennt man dann nicht mehr Management, sondern Unternehmertum.“
Professor Kruse macht den Unterschied deutlich: „Der Manager optimiert Prozesse und sorgt dafür, dass die Funktionstüchtigkeit des Systems Profit erzeugt“. Der Unternehmer dagegen investiere Energie in „Prozesse, deren Erfolg er noch nicht kennt“. Überlebenswichtig sei dabei, dass der Unternehmer eine enges Gespür für die Marktentwicklungen habe, um auch in Zukunft Geld verdienen zu können.
„Mehrwertbringer der Zukunft“
Unternehmertum sei unter diesem Gesichtspunkt die Fähigkeit, mit einer immer weiter perfektionierten Wahrnehmung für den Markt einen Suchhorizont zu entwickeln, in dem die Instabilität nicht ziellos, sondern erfolgsorientiert auf eine höhere Ordnung hin ausgerichtet sei. Dies erhöhe die Wahrscheinlichkeit, einen „Mehrwertbringer der Zukunft“ zu entwickeln.
Das Ergebnis, so resümiert Kruse, seien zahlreiche unternehmerische Erfolgsstorys, die „man meistens erst erzählt, wenn sie passiert sind“. Der notwendige „Schmerz des Übergangs“ werde dabei meist ausgeblendet. Erfolgreiche Unternehmer seien solche, „deren Geschichten man rückwärts erzählt“.
Harry Potter kam zur richtigen Zeit
Kruse fährt fort, dass es aus seiner Sicht nützlicher wäre, sich weniger an den ständigen Erfolgsstorys zu orientieren, die Leute unter Druck zu setzen. Hilfreicher wäre es, sich an der Risikobereitschaft zukunftsoptimistischer Menschen zu orientieren, „die den neugierigen Teil zwischen Kind und Unternehmer bei sich kultivieren“.
Was ihn immer wieder fasziniere, sei die Bereitschaft von Menschen, sich auf einen bestimmten Lernschritt einzulassen. Dies und die Resonanzfähigkeit des Marktes für neue Muster würden dann den Erfolg erst bestimmen. Ein Beispiel dafür sei die große Resonanz auf die Buchreihe von Harry Potter gewesen. Umgekehrt zeige sich, dass viele Menschen tolle Erfindungen gemacht haben, die aber zu ihrer Zeit noch nicht anerkannt wurden. Die Bedeutung sei erst lange Zeit später im Rückblick erkennbar geworden.
In seinem Fazit bilanziert der Hirnforscher: „Der wertvolle Teil ist nicht der Erfolg, sondern dass Menschen sich getraut haben, etwas Neues zu probieren.“
Foto: YouTube