Die 007-Formel: „Ich krieg Dich!“
Wenn Kinder miteinander fangen spielen und einer ruft „Ich krieg Dich!“, dann nimmt der Gejagte in der Regel erstmal kräftig Reißaus. Mit einer ganz anderen Strategie geht Leo Martin zu Werke. Als ehemaliger Agent des Bundesnachrichtendienstes gehörte es zu seinen Aufgaben, Menschen für sich zu gewinnen und Vertrauen aufzubauen. Zehn Jahre lang war es sein Job, Informanten aus der Organisierten Kriminalität anzuwerben und an sich zu binden, um so an brisante Informationen aus ansonsten streng abgeschotteten Kreisen zu gelangen. Wie er durch den geschickten Einsatz unbewusster Denk- und Handlungsmuster mit einer Art 007-Formel in kürzester Zeit sein Gegenüber geknackt hat, schildert er in dem SPIEGEL-Beststeller „Ich krieg Dich!: Menschen für sich gewinnen“.
Sprachprofiler auf Erpresserjagd
Bei der diesjährigen DOAG-Konferenz mit Ausstellung in Nürnberg habe ich Leo Martin sowohl als interessanten Keynote-Speaker wie auch als versiertes Gegenüber im persönlichen Gespräch kennengelernt. Seinen Job als deutscher 007 hat der Münchner zwar längst an den Nagel gehängt. Als Geschäftsführer des Instituts für forensische Textanalyse in der Landeshauptstadt ist er Kriminellen aber immer noch auf der Spur. Gemeinsam mit den besten Sprachprofilern Deutschlands unterstützt er Unternehmen, die anonym Briefe, Emails oder auch online Bewertungen bekommen, in denen sie angegriffen, bedroht oder erpresst werden. Oft handelt es sich dabei um ehemalige Mitarbeiter. Anhand sprachlicher Muster analysieren Martin und seine Kollegen, wer als Täter in Frage kommt und wer nicht.
Was mich natürlich am meisten interessiert hat, war die Vorgehensweise, wie es dem studierten Kriminalwissenschaftler Martin gelang, notorisch misstrauische Menschen wie Schwerkriminelle in kürzester Zeit von sich zu überzeugen und an sich zu binden. Bei den Einsätzen ging es nicht zimperlich zu: Rauschgift, Waffen- und Menschenhandel und Prostitution. Nicht selten hatte er mit schweren Jungs aus dem Ostblock zu tun, meistens Russen. Die Kunst bestand darin, Kontakt zu potentiellen Informanten aus dem Umfeld der Organisierten Kriminalität zu bekommen, die auch wirtschaftlich und sozial davon abhängig waren.
Harte Bandagen in der Organisierten Kriminalität
„In diesem Milieu wird mit harten Bandagen gekämpft. Jemandem eine zweite Chance geben, das gibt es dort nicht. In diesen Organisationen gibt es eine klare Regel: An der Spitze steht immer der Härteste, weil sich nur die Brutalsten durchsetzen. Je weiter man also bei seinen Ermittlungen nach oben kommt, desto härter werden die Methoden, die im Kampf eingesetzt werden.“
Martin wirft ein, dass für ihn viel auf dem Spiel stand, Vertrauen und eine Beziehung zu Typen aufzubauen, die daran erstmal gar kein Interesse hatten. Ihn habe aber die Herausforderung gereizt, in ein sich ganz bewusst abschottendes Milieu einzudringen, um so an kleine Informationsbausteine zu gelangen. Ein Puzzleteil im Rahmen eines großen Ermittlungsapparats.
Respekt auch in Konfliktsituationen
Wie aber erlangt man Vertrauen? Martin erläutert, dass viele dafür nur schwammige Antworten finden. Heruntergebrochen auf die wirklich wichtigen Dinge, gehe es darum, im Anderen zwei wesentliche Grundbedürfnisse anzusprechen: denen nach Sicherheit und Wertschätzung. Zur Sicherheit gehöre ein klares Bild vom Gegenüber. Wofür steht er, was sind seine Wertvorstellungen, was geht bei ihm und was nicht? Vertrauen steht auch für Berechenbarbeit und Zuverlässigkeit.
Bei der Wertschätzung gehe es darum, den anderen immer als Mensch zu respektieren und ihn auch in Konfliktsituationen sein Gesicht wahren zu lassen. Sozusagen Respekt und Kommunikation auf Augenhöhe, ohne Drohungen, Erpressungen und Tricks. Martin ergänzt, dass auch das Wissen um den eigenen Selbstwert, die eigene Ziele wichtig sind, um im „Statusspiel“ virtuos punkten zu können. Gerade der Wechsel zwischen Hochstatus, in dem ich mein Expertenwissen beweise und Tiefstatus, bei dem ich die Stärken des anderen anerkenne und hervorkehre, lasse Beziehungen spannend werden. Ganz wesentlich für die passende Kontaktaufnahme sei auch der erste Satz: „Der muss einfach passen!“
„Menschen nicht schütteln, sondern rühren“
Auch wenn man angesichts zahlreicher Agentenfilme im Kino einen ganz anderen Eindruck hat: Martin betont, dass nur langfristige Verlässlichkeit beim Aufbau von Vertrauen hilft. Statt mit Tricks und Druck kurzfristige Erfolge erzielen zu wollen, seien auf lange Sicht Grundtugenden wie Sicherheit, Anerkennung und Wertschätzung sowie ein professionelles Beziehungsmanagement zielführender. Das gelte nicht nur für Kontakte ins kriminelle Milieu. Auch im Verhältnis des Vertriebsmitarbeiters zum Kunden oder bei der Führungskraft, die einen erfolgreichen Mitarbeiter an sich binden will, gelten diese Grundregeln. „Man muss Menschen nicht schütteln, sondern rühren“, erklärt der Ex-007 dazu augenzwinkernd.
Dass seine Agenten-Geschichten aus dem Geheimdienstmilieu auf großes Interesse stoßen, hat Martin nach eigenem Bekunden auch bei den Führungstrainings für eine große Unternehmensberatung schnell festgestellt. Sie bildeten einen neuen Aufgabenschwerpunkt nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst. Daraus folgten der erste Vortrag, das erste Buch und das erste Training für die Zürich Business School. Daneben begleitet der 43-Jährige in einer Art persönlicher Challenge als Coach auch Menschen auf dem Weg in die Selbstständigkeit und ist für die Medien ein gefragter Ansprechpartner.
Erkenntnisse aus dem Agentenmilieu für jedermann
Als Buchautor verbindet Martin Krimispaß mit dem Wissen aus seinen Fällen sowie Tipps und Tricks aus den Bereichen Psychologie, Kommunikation und Persönlichkeit zu einer lesenswerten und unterhaltsamen Mischung. Nach seinem ersten Buch „Ich krieg Dich!“ von 2011 gab Martin im Zweitwerk „Ich durchschau Dich!: Menschen lesen“ (2012) gewitzt Einblick in die Systeme zur Typisierung verschiedener Persönlichkeiten, deren Merkmale und Reaktionsmuster. Strategien zur Abwehr von Nervensägen und Energiekillern folgten 2015 mit dem Buch „Ich stopp Dich!“. Nach dem großen Erfolg liegt sein Erstling mittlerweile seit letztem Jahr in einer komplett überarbeitete Neufassung vor.
Leo Martin: Ich krieg Dich!: Menschen für sich gewinnen – Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien“, 257 Seiten, Heyne Verlag, München 2018, ISBN: 978-3453604902.