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Markus Blaschka lächelt in die Kamera – Porträtfoto zum Artikel über Selbstführung und Nervensystem

Selbstführung beginnt im Körper – wie das Nervensystem Sicherheit und innere Ruhe ermöglicht

Wenn wir über Selbstführung sprechen, denken viele an mentale Stärke, Fokus oder Disziplin. Doch echte Selbstführung beginnt nicht im Kopf – sie beginnt im Körper. Genauer gesagt: im Nervensystem.

Vor Kurzem habe ich zwei intensive Tage im Einführungsseminar zu Somatic Experiencing (SE) verbracht. Diese Methode beschäftigt sich mit etwas, das wir im Alltag oft übergehen: dem Körper – und der Fähigkeit, uns in ihm sicher zu fühlen.

Sicherheit ist kein Denkprozess. Sie entsteht dort, wo viele längst den Kontakt verloren haben: im Nervensystem, im Spüren, im Körper.


Der Körper als Schlüssel zu Selbstführung

Gerade in der Arbeit mit Führungskräften sehe ich immer wieder, wie sehr Dauerstress den Kontakt zum eigenen Körper kappt. Wer permanent unter Strom steht, verliert die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung. Und ohne Selbstwahrnehmung wird Selbstführung zur Fassade.

Wir leben in einer Kultur, in der der Körper funktionieren muss. Sport, Ernährung, Leistungsoptimierung – all das ist oft ein Funktionalisieren des Körpers. Wir behandeln ihn wie ein Werkzeug, das liefern soll. Doch der Körper ist kein System zur Effizienzsteigerung. Er ist unser Resonanzraum.

Echte Selbstführung bedeutet, präsent zu sein. Den Körper zu spüren, ohne ihn zu bewerten. Zu merken, wann Anspannung steigt, wann Entspannung möglich ist. Diese Fähigkeit geht im Alltag schnell verloren – und genau dort beginnt die Arbeit mit dem Nervensystem.


Was das Nervensystem wirklich braucht

Unser Nervensystem ist das Fundament jeder Selbstregulation. Es steuert, ob wir uns sicher, wach oder bedroht fühlen. Gerät es aus dem Gleichgewicht, zeigen sich Unruhe, Schlaflosigkeit oder Erschöpfung.

Viele Menschen reagieren darauf mit noch mehr Kontrolle – sie versuchen, die Überforderung durch Aktivität zu kompensieren. Doch Selbstführung entsteht nicht durch Kontrolle, sondern durch Regulation. Das bedeutet: wahrnehmen, was ist, und bewusst wieder in Balance kommen.

Selbstregulation ist die Fähigkeit, auf Stress zu reagieren, ohne sich darin zu verlieren. Sie ist kein Dauerzustand, sondern ein lebendiges Pendeln zwischen Aktivierung und Ruhe.


Ein Moment, der bleibt – meine Erfahrung mit Somatic Experiencing

In einer Übung sollten wir einen „sicheren Ort“ finden – nicht als Gedankenbild, sondern als körperliche Erfahrung. Ich saß da, die Augen geschlossen. Plötzlich wurde mein Atem ruhig. Im Sonnengeflecht, dem Solarplexus, spürte ich Wärme, ein sanftes Strömen, etwas wurde weich.

Dieser Moment war kein Gedanke. Kein Konzept. Sondern eine körperlich spürbare Erfahrung von Sicherheit. Er hat etwas verändert – und er wirkt nach.


Trauma verstehen – und das Nervensystem regulieren

Somatic Experiencing wurde vom amerikanischen Biophysiker und Psychotraumatologen Peter A. Levine entwickelt. Sein Ansatz versteht Trauma nicht nur als Folge einzelner Schockerlebnisse, sondern als Reaktion des Nervensystems auf Überforderung – auch durch chronischen Stress, Leistungsdruck oder fehlende Bindungserfahrungen.

Das Nervensystem kann dabei in zwei Extreme kippen:

  • Hyperarousal (Übererregung): Panik, Wut, Schmerzen, Überaktivität, Rastlosigkeit.
  • Hypoarousal (Untererregung): Erschöpfung, Rückzug, Leere, innere Abgestorbenheit.

Beide Zustände sind Schutzreaktionen. Sie zeigen: Das Nervensystem hat seine Fähigkeit zur Selbstregulation verloren. Ziel ist nicht, dauerhaft entspannt zu sein, sondern die eigene innere Flexibilität zurückzugewinnen – also wieder zwischen Aktivierung und Ruhe wechseln zu können.

Levine beschreibt diesen Prozess detailliert in seinen Büchern “In an Unspoken Voice” (North Atlantic Books, 2010) und in der deutschen Ausgabe Sprache ohne Worte (Werbelink / Affiliate-Link – du zahlst nicht mehr, aber ich erhalte eine kleine Provision). Beide zeigen, wie Heilung erst möglich wird, wenn der Körper Spannung entladen darf – in seinem eigenen Tempo.


Das Nervensystem verstehen – die Polyvagal-Theorie als Schlüssel zur Regulation

Der Neurophysiologe Stephen W. Porges hat mit der Polyvagal-Theorie ein Modell entwickelt, das erklärt, wie unser autonomes Nervensystem Sicherheit und Bedrohung verarbeitet. Sie unterscheidet drei Hauptzustände:

  • Soziale Verbundenheit (ventraler Vagus): Wir fühlen uns sicher, präsent und handlungsfähig.
  • Kampf- oder Fluchtmodus (Sympathikus): Der Körper ist aktiviert, Herzfrequenz und Muskelspannung steigen, wir reagieren mit Kontrolle oder Aktion.
  • Erstarrung (dorsaler Vagus): Bei Überforderung schaltet das System in den Schutzmodus – Rückzug, Taubheit, Erschöpfung.

Zwischen diesen Zuständen pendelt das Nervensystem fortlaufend. Entscheidend ist nicht, Stress zu vermeiden, sondern die Fähigkeit, wieder in einen regulierten Zustand zurückzufinden.

Porges beschreibt diesen Mechanismus als „Wissenschaft der Sicherheit“ (A Science of Safety, Frontiers in Integrative Neuroscience, 2022). In der deutschen Fassung Sicherheit und Heilung finden (Werbelink / Affiliate-Link – du zahlst nicht mehr, aber ich erhalte eine kleine Provision) zeigt er praxisnah, wie Menschen über Atmung, Stimme, Mimik und Körperhaltung gezielt den ventralen Vagus aktivieren können – also den Teil des Nervensystems, der soziale Verbindung und innere Ruhe ermöglicht.


Wissenschaftliche Evidenz zu Somatic Experiencing

Aktuelle Studien belegen, dass Somatic Experiencing messbare Verbesserungen in der Regulation des autonomen Nervensystems bewirken kann. Eine Übersichtsarbeit von Kuhfuß et al. (2021) berichtet vorläufige Evidenz für positive Effekte von Somatic Experiencing auf PTSD-bezogene, affektive und somatische Symptome sowie auf Wohlbefinden.

Damit gewinnt ein Ansatz an Bedeutung, der Körper, Geist und Nervensystem gemeinsam betrachtet – und den Menschen wieder in seine natürliche Selbstregulation zurückführt.


Wie ich Somatic Experiencing künftig nutze

Ich habe Somatic Experiencing zuerst als Klient erlebt – und war beeindruckt, wie tiefgreifend und zugleich sanft sich innere Veränderung anfühlen kann. Diese Erfahrung möchte ich künftig stärker in meine Coaching-Arbeit einfließen lassen:

  • Körperarbeit als Zugang zu Präsenz und Klarheit
  • Traumasensibles Coaching mit Fokus auf Regulation statt Analyse
  • Aufbau von Resilienz durch bewusste Arbeit mit dem Nervensystem

Mit dem Intro allein arbeite ich noch nicht, aber ich bin neugierig. Voraussichtlich ab Sommer 2026 werde ich die eigentliche Weiterbildung in Somatic Experiencing fortsetzen, um die Methode fundiert in meine Arbeit zu integrieren.


Zwei Fragen zur Selbstreflexion

Wie sehr bist du heute in deinem Körper?

Woran merkst du, dass du wirklich bei dir bist?

Diese Fragen sind keine Esoterik. Sie sind hochpraktisch – für Führung, Kommunikation und Lebensbalance. Denn wer sich selbst spürt, kann klarer handeln, besser führen und gesünder leben.


Fazit

Selbstführung ist mehr als mentale Disziplin. Sie entsteht dort, wo Kopf und Körper wieder miteinander verbunden sind. Das Nervensystem ist dabei der Schlüssel.

Mentale Tools stoßen an ihre Grenzen, wenn der Körper nicht mitarbeitet. Wer lernt, die Signale des Körpers zu lesen, entdeckt neue Wege zu Klarheit, Ruhe und Resilienz.

Manchmal genügt ein Atemzug. Ein Moment, in dem du wieder bei dir bist.

Und genau diese Verbindung – zwischen Körper, Geist und Führung – möchte ich künftig noch stärker in meine Coaching-Arbeit einfließen lassen.


FAQ zum Thema Nervensystem und Selbstführung

Was bedeutet Regulation des Nervensystems?

Regulation bezeichnet die Fähigkeit des autonomen Nervensystems, zwischen Aktivierung (Stress) und Ruhe (Erholung) flexibel zu wechseln. Diese Anpassungsfähigkeit entscheidet darüber, wie gut wir auf Belastung reagieren.

Wie hilft Somatic Experiencing bei Stress oder Trauma?

Somatic Experiencing nach Peter A. Levine nutzt gezielte Körperwahrnehmung, um Übererregung oder Erstarrung sanft zu lösen. Dadurch kann das Nervensystem Spannung entladen und wieder in Balance kommen.

Was besagt die Polyvagal-Theorie von Stephen Porges?

Sie beschreibt, dass das Gefühl von Sicherheit die Grundlage jeder Selbstregulation ist. Wenn der Körper Sicherheit wahrnimmt – etwa über Atmung, Mimik oder Stimme –, schaltet das Nervensystem in einen Zustand sozialer Verbundenheit.

Kann man Selbstregulation lernen?

Ja. Durch Atemarbeit, bewusste Körperwahrnehmung, traumasensibles Coaching und regelmäßige Pausen lässt sich das Nervensystem trainieren, schneller in die eigene Mitte zurückzufinden.


Quellen: