Chinas Weg zur digitalen Weltherrschaft
Während die westlichen Eliten noch auf die schöne neue Welt aus dem Silicon Valley starren, hat China längst Deutschland und die Weltwirtschaft durchdrungen. Innerhalb der letzten 20 Jahre hat es das Reich der Mitte geschafft, sich von einem wirtschaftlichen Entwicklungsland zu einem globalen Technologieführer emporzuschwingen. Auch hochentwickelte Elektronikprodukte kommen immer öfter aus der Volksrepublik.
In einem aktuellen Buch hat der langjährige China-Korrespondent und Handelsblatt-Redakteur Stephan Scheuer jetzt aufgezeigt, wie sich der Staat im Fernen Osten anschickt, die Digitalisierung geschickt für technische Eroberungszüge in aller Welt zu nutzen: „Der Masterplan – Chinas Weg zur Hightech-Weltherrschaft“ heißt das Ergebnis von Scheuers Recherchen.
Drei Konzerne bestimmen Chinas Online-Welt
Seit Jahren bereits expandieren chinesische Firmen auf alle Kontinente. Sie schaffen Infrastrukturen in Afrika und Südamerika, bauen eine „neue Seidenstraße“ nach Europa, dringen mit Finanzdienstleistungen und Firmenkäufen sowohl zu den Verbrauchern wie in Unternehmen vor, diktieren das Tempo bei der Entwicklung von autonomer Mobilität und sind Marktführer bei Drohnen.
Chinas mächtigste Internetnetfirmen strotzen nur so von Selbstbewusstsein. Die drei Giganten Baidu, Tencent und Alibaba haben mit umfassenden Dienstleistungen das Internet-Geschäft im bevölkerungsreichsten Land der Welt untereinander aufgeteilt. Baidu kontrolliert die Internetsuche. Tencent dominiert Chatprogramme und Onlinespiele und Alibaba bestimmt das Geschäft mit dem Onlinehandel. Mit mehr als 730 Millionen Menschen sind in keinem Land auf der Welt so viele Nutzer online wie in China. Dieser gewaltige Markt hat den drei Unternehmen gewaltige Wachstumsraten beschert.
Mit dem geschickten Kopieren und Weiterentwickeln westlicher Vorbilder haben es die drei großen Unternehmen geschafft, technologische Innovationen in Rekordzeit voranzubringen. Sie profitieren dabei sowohl vom Know-how erfolgreicher Start-ups, an denen sie beteiligt sind, wie von der Unterstützung durch Chinas Staatspartei. Umgekehrt hindern Zensur und die „Great Chinese Firewall“ des Internets westliche Großkonzerne wie Amazon oder Google daran, in der Volksrepublik zu einer echten Konkurrenz zu werden.
Globale Vision von Alibaba-Gründer Jack Ma
Alibaba-Gründer Jack Ma hat das Ziel ausgegeben, in den nächsten 20 Jahren weltweit zwei Milliarden Kunden mit Dienstleistungen zu versorgen. Sein Online-Konzern wickelt schon jetzt mehr Transaktionen ab als eBay und Amazon zusammen ab. In Reisen um die Welt wirbt er für das Erfolgsmodell seiner Handelsplattform Taobao, das er global wiederholen will.
„Wir haben kleine Händler mit Millionen von Kunden verknüpft und so das Wirtschaftswachstum angekurbelt“, fasst er sein Wirtschaftsmodell zusammen. „Kleine und mittelständische Firmen sind das Rückgrat der Wirtschaft. Und niemand kann sie global so gut stärken wie wir“, erklärt er selbstbewusst.
Vom deutschen Gründer Maximilian Bittner hat Ma bereits die Mehrheit der Firma Lazada übernommen, die den Onlinehandel in Südostasien dominiert. Doch längst haben die globalen Visionäre aus China auch Deutschland als Hightech-Schmiede ins Visier genommen. Mit ihren bequemen Online-Bezahldiensten machten Alibaba und Tencent den Anfang und setzen dabei geschickt auf das Geschäftsvolumen, das chinesische Touristen deutschen Unternehmen bescheren.
Chinas Vordringen in Deutschland
Die beiden deutsche Unternehmen Wirecard und Concardis verbinden die chinesischen Bezahl-Systeme mit Geschäften in der Bundesrepublik. Alibaba vereint bereits 520 Millionen Nutzer auf seiner Bezahlplattform Alipay. Auf den Dienst „WeChat Pay“ von Tencent greifen 600 Millionen Nutzer zu. Sie können schon heute bei den 2.000 Filialen der Drogeriekette Rossmann, beim Haushaltswarenhersteller Zwilling oder beim Fußballverein Borussia Dortmund mit den bekannten Apps zahlen.
Um von seiner Dependance in Australien aus Kunden auf dem chinesischen Festland beliefern zu können, eröffnete Aldi Süd im März 2017 als erster deutscher Discounter einen Webshop auf der Plattform von Alibaba. Zwei Monate später zog Lidl nach. Auch der deutsche Versandhändler Windeln.de nutzt die Plattform, um Kunden in China für seine Produkte zu gewinnen.
Huawei nutzt Forschungsstandort Deutschland
Diese Vorstöße sind erst ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Chinesische Unternehmen wollen global durchstarten und zu Konzernen wie Google, Amazon, Facebook oder Apple aufschließen. Als Türöffner dient dabei die Tatsache, dass chinesische Plattformen in der Regel eine Vielzahl weiterer nützlicher Funktionen vereinen, die einen Wechsel zu anderen Online-Portalen überflüssig machen.
Ein weiteres Beispiel der global ausgerichteten Digital-Strategie Chinas ist – neben der stillschweigenden Beteiligung an deutschen DAX-Unternehmen oder Firmenkäufen wie beim Roboterhersteller Kuka – das Technologieunternehmen Huawei. 2001 eröffnete der Konzern seine erste Westeuropa-Zentrale in Düsseldorf. Mittlerweile arbeiten in Deutschland mehr als 2.000 Mitarbeiter an 20 Standorten für die Chinesen. Das europäische Forschungszentrum ist in München angesiedelt, wobei allein 79.000 der weltweit eingesetzten 180.000 Mitarbeiter im Bereich Forschung arbeiten.
In München nimmt insbesondere der Bereich Künstliche Intelligenz und Virtuelle Realität einen Schwerpunkt ein. Zusammen mit Leica betreibt die Firma zudem ein Innovationszentrum in Wetzlar. Im bayerischen Weilheim baut Huawei ein Produktionszentrum für die Erforschung der Fabrik der Zukunft unter dem Zeichen „Industrie 4.0“. Das Unternehmen ist zweitgrößter Patentanmelder in Europa.
Totalitäre Kontrolle ab 2020
Diese Beispiele machen schnell deutlich, dass die von China vorangetreibene Strategie kein Zufallsprodukt ist, sondern einem ausgeklügelten Masterplan folgt. Scheuer zeigt in seinem Buch auch bedenkliche Entwicklungen auf. Dazu gehört etwa ein landesweit ausgelegtes totalitäres Überwachungssystem Chinas.
Es soll durch bisher ungeahnte digitale Zugriffsmöglichkeiten – u.a. durch Video und Gesichtserkennungs-Software – Bürger und Unternehmen in Echtzeit der vollständigen Kontrolle unterwerfen. Mittels der Vergabe von Sozialpunkten mit entsprechenden Vorteilen bzw. Sanktionen sollen Kriminalität, Korruption, Verkehrsübertretungen und andere Vergehen unterbunden werden. In einer Reihe von Städten wird das System bereits erprobt.
Scheuer wirft in seinem Buch einen Blick hinter die politischen und wirtschaftlichen Kulissen sowie geostrategischen Ziele Chinas. Die Aufhebung der Amtszeitbegrenzung von Staats- und Parteichef Xi Jinping auf Lebenszeit erscheint da nur logisch. Anhand der Biographien der drei Konzerngründer Jack Ma, Robin Li und Pony Ma und deren Loyalität zur Parteiführung macht der Journalist ergänzend die Unterschiede in der strategischen Ausrichtung Chinas im Vergleich zu den Konzernen aus dem Silicon Valley deutlich.
Ein Buch, das auch mit Blick auf den gegenwärtigen Handelskrieg zwischen China und den USA neue Perspektiven bezüglich der Globalstrategien beider Länder im Kampf um die künftige Wirtschafts- und Technologieführerschaft eröffnet. Es macht deutlich, dass Politik und Wirtschaft in Deutschland und Europa dringend Antworten auf die Herausforderung durch die Internet-Supermacht China finden müssen.
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Stephan Scheuer: Der Masterplan – Chinas Weg zur Weltherrschaft, Herder Verlag 2018, 222 Seiten, ISBN: 978-3-451-399008.
Foto: Axel Effner