Homo Deus: Algorithmen als neue Götter?
Der Mensch – einst Krone der Schöpfung – als Auslaufmodell in einer perfekt durchorganisierten Maschinenwelt: Sieht so unsere Zukunft aus? Das ist zumindest eine Vision, wie sie Yuval Noah Harari zeichnet. Der 42-Jährige Historiker lehrt an der Hebräischen Universität in Jerusalem Militärgeschichte des Mittelalters und sorgte mit seinen universalhistorischen Theorien für Aufsehen, die er in dem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ zu einem Bestseller verarbeitet hat.
Wie sich der Mensch zu Gott machte
Harari setzt sich in seinem neuen Werk „Homo Deus“ mit der provozierenden Idee auseinander, wie der Mensch sich zum Gott aufgeschwungen hat und warum ihn Algorithmen und Künstliche Intelligenz bald wieder vom Thron stoßen könnten. Seit dem Beginn der Erkenntnis-Revolution vor gut 70.000 Jahren hat der Mensch der Erde seinen Stempel aufgedrückt. Als Jäger und Sammler glaubte der Homo sapiens noch an ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Mensch und Tier. Im Zuge der Agrarrevolution machte die Menschheit einen Deal mit ihren als Projektion neu erfundenen Göttern, um gute Ernten und Kriegserfolge zu sichern. Mit der wissenschaftlichen Revolution vor gut 500 Jahren zerbrach dieser Pakt und der Mensch setzte sich Schritt für Schritt selbst an die Stelle von Gott.
Was aber befähigte den Homo sapiens, sich zum Alleinherrscher über die Welt aufzuschwingen? Harari zufolge ist es die einzigartige Fähigkeit des Menschen, sich flexibel zu organisieren und zu kooperieren und zunehmend die Kontrolle über diese „seine“ Welt zu gewinnen. Hunger, Dürren und Naturkatastrophen wurden damit zunehmend beherrschbar. Grundlage für das Funktionieren ist der gemeinsame Glaube an künstliche Ordnungen oder gemeinsame Geschichten, betreffen sie nun Imperien, Papiergeld, Kommunismus, Nationalstaaten, Demokratie oder Menschenrechte. Dies betrifft auch den Glauben als übermenschliche Rechtfertigung menschlicher Normen und Gesetze. „Die eigentliche religiöse Revolution der Moderne bestand nicht darin, den Glauben an Gott zu verlieren, sondern den Glauben an die Menschheit zu gewinnen“, schreibt der Autor aus Israel.
Humanismus als Quasi-Religion
Spürt Harari im ersten Teil des Buches der Frage nach, wie der Mensch die Welt erobert hat, so stehen im zweiten Teil die Sinngebungsprozesse im Fokus. Der Historiker zieht dafür als Erklärungsmodell verschiedene Entwicklungsstufen des Humanismus als menschenzentrierte Quasi-Religion heran, was ihm scharfe Kritik von verschiedenen Seiten eingebracht hat. Demnach setzt der liberale Humanismus verstärkt auf Innenschau und die Vermehrung des individuellen Glücks. Der sozialistische Humanismus sah in der Gleichheit und dem kollektiven Glück das oberste Ziel. Der evolutionäre Humanismus wiederum glaubte an die Kraft der natürlichen Auslese und die Überlegenheit bestimmter Zivilisationen. Zwischen 1914 und 1989, so Hararis These, lieferten sich diese drei Gruppen einen erbitterten Religionskrieg. Als Ergebnis blieb das Versprechen vom Glauben an Demokratie, Marktwirtschaft und die Doktrin vom unbegrenztem Konsum als oberste Maxime.
Kritiker wie Michael Schmidt-Salomon, Philosoph, Sozialwissenschaftler und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, sehen in der Verkürzung der Menschheitsgeschichte auf die drei Humanismus-Modelle den größten Schwachpunkt von Hararis Buch und eine unzulässige Einschränkung. Etwa, wenn er Harari vorwirft, den evolutionären Humanismus mit dem Nationalsozialismus als „religiöse Sekte“ gleichzusetzen und Hitler damit zu einem „humanistischen“ Massenmörder werden zu lassen. Schon vom Begrifflichen her verursacht das Bauchschmerzen. Aber das nur ganz nebenbei.
Dataismus als neue Weltanschauung
Am interessantesten wird Hararis Buch im dritten Teil, wenn er sich Gedanken darüber macht, was passiert, wenn der Mensch die derzeitigen Weltanschauungen hinter sich lässt. Und wenn der Humanismus im Streben nach einer reinen Informations- und Wissensexistenz von einem technologiegetriebenen „Dataismus“ abgelöst wird. Der freie Wille, so eine der Kernaussagen, hat sich als Illusion erwiesen. Der Mensch ist nichts als eine Ansammlung von Genen, Nerven, Hormonen und biochemischen Kettenreaktionen. Selbst komplizierte Gefühle wie Liebe oder Wut lassen sich inzwischen dank gezielter elektrischer Stimulation im Gehirn künstlich erzeugen.
Die Folge daraus? Wenn Maschinen mit immer mehr Daten über unsere Körperfunktionen und Gewohnheiten, das Kaufverhalten, Ortswechsel und Kontakte gefüttert werden, dann können sie ab einem bestimmten Punkt besser über uns entscheiden als wir selbst. Wie Harari schreibt, wird der Liberalismus „an dem Tag zusammenbrechen, an dem das System mich besser kennt als ich mich selbst“.
Algorithmen als neue Feudalherren?
Damit ist der Übergang vom homozentrischen zum datazentrischen Weltbild erreicht. Wachsende künstliche Intelligenz und wirkmächtige Algorithmen werden uns überlegen sein, uns Entscheidungen für neue Partner, Wahlen und Urlaubsreisen abnehmen und unsere bescheidenen Fähigkeiten entbehrlich machen. Sie werden quasi zu neuen Göttern, denen wir uns freiwillig unterwerfen und ihnen unsere Daten opfern. Die Frage ist, ob wir im Streben nach Risikominimierung und mehr Gewissheit nicht längst einen Unterwerfungsvertrag unter die Maschinenlogik unterschrieben haben, wie wir auch bei seitenlangen Lizenzvereinbarungen neuer Apps nur nach unten scrollen und auf o.k. klicken.
Harari mag zynisch klingen, wenn er fragt: „Die wichtigste ökonomische Frage des 21. Jahrhunderts dürfte sein, was wir mit all den überflüssigen Menschen anfangen.“ Brot, Spiele und Drogen als Ersatzbefriedigung der Massen? Dem „Homo nutzlos“ stellt der israelische Historiker auf der anderen Seite die optimierten Superreichen gegenüber, die sich mit einigen hochkompetenten Dienstleistern ein perfekt organisiertes Leben als Götter im Olymp der Daten und Biowissenschaften leisten können.
Wollen wir das? Es ist an uns, Hararis Buch und Techno-Vision der schönen neuen Datenwelt von morgen als Weckruf zu verstehen. Und etwas gegen die drohende geistige Versklavung zu tun, bei der nicht mehr geistliche und weltliche Feudalherren des Mittelalters über unser Wohl und Wehe entscheiden, sondern große Datenkonzerne und Softwareprogramme.
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Foto: creativecommons / flickr.com/Kader Sevinc