Elon Musk: Diktator oder Weltenretter?
Er möchte die Menschheit als Visionär vor der selbstverschuldeten Katastrophe retten und reitet doch in seinem eigenen Leben von einer Katastrophe zur nächsten. Und das offensichtlich höchst erfolgreich und mit schier unerschöpflicher Energie: Wie Phönix aus der Asche geht der amerikanische Multimilliardär, Unternehmensgründer und Technologiefan Elon Musk (47) aus Krisen, Niederlagen und Untergangsszenarien stets gestärkt hervor. Der Weltraumeroberer gründet neue Firmen mit immer utopischeren Zielen, hinterlässt dabei aber Heerscharen frustrierter und ausgebrannter Mitarbeiter.
Gerade wieder hat er es als „Teslas Diktator“ auf die Titelseite des Manager Magazins geschafft. Führungskräfte sprechen von einer „puren Kultur der Angst“, von „Diktatur“ und Arbeiten bis zum Umfallen, mit der der innovative US-Hersteller von Elektroautos gegen die Zeit und für den Erfolg um jeden Preis kämpft. Einblick in das schillernde Leben und die für Normalbürger ziemlich fremde Welt des Elon Musk gibt die 2015 erschienene Biographie des Wirtschaftsjournalisten Ashlee Vance: „Tesla, PayPal, SpaceX – Wie Elon Musk die Welt verändert“. Das Buch schaffte es prompt in die Bestenliste der deutschen Wirtschaftsbücher und ist mittlerweile in 16. Auflage erschienen.
„Das System Elon Musk“
Wer ist dieser Mann, der mit disruptiven Autotechnologien, Weltraumflügen zum Mars und dem Transportsystem Hyperloop, das Reisen in Schallgeschwindigkeit zwischen Metropolen ermöglichen soll, die Welt in Staunen versetzt? Ein grenzenloser Optimist, der eine bessere Welt schaffen will, ein vor keinem Risiko zurückschreckender Investor oder ein selbstverliebter Egomane, der wohlgesonnene Unterstützer reihenweise vor den Kopf stößt?
Um das höchst widersprüchliche „System Elon Musk“ verstehen zu können, hat der Journalist Ashlee Vance Hunderte von Interviews geführt – mit Musk selber, aber auch mit Verwandten, Freunden, Weggefährten und Feinden des Selfmade-Unternehmers. Bei der mit vielen Details und Anekdoten gespickten Lebensgeschichte bemüht sich der Autor zwar immer wieder um professionelle Distanz, zeigt sich passagenweise aber auch selbst fasziniert von der Kraft, dem Ehrgeiz und der Unerbittlichkeit des Beschriebenen, der seien Ziele ohne Kompromisse und einem Arbeitseinsatz ohnegleichen verfolgt. Als wichtigste Fähigkeit erweist sich dabei das Talent des Technologiefreaks und Selfmade-Programmierers mit Studienabschlüssen in Physik und Volkswirtschaft, sich voll und ganz in ein Thema zu versenken, bis er es komplett durchdrungen hat. Was ihm an Wissen fehlt, ergänzen Experten, die er um sich sammelt und völlig in seinen Bann zu ziehen weiß.
Harte Kindheit im Land der Apartheit
Als Kind eines südafrikanischen Maschinenbauingenieurs und einer kanadischstämmigen Buchautorin mit Modelambitionen wuchs Musk in dem von Apartheit geprägten Land am Südzipfel Afrikas auf. Bereits mit zehn Jahren beschäftigte sich der lesebesessene Junge mit Computer und Programmiersprachen. Als Zwölfjähriger verkaufte er sein erstes selbstentwickeltes Videospiel Blastar für 500 Dollar an eine US-Zeitschrift. Prägend war offensichtlich auch die Abenteuerlust der flug- und expeditionsbegeisterten Großeltern aus Kanada, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Pretoria ausgewandert sind. In der Schule wird Musk als Außenseiter wahrgenommen, der phasenweise völlig in sich selbst versunken erscheint und dann nicht ansprechbar ist.
Um der Wehrpflicht zu entkommen – angeblich, um nicht Teil des Apartheits-Regimes zu werden – wanderte der knapp 17-Jährige überstürzt nach Kanada aus. Dort schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis er sich an der Universität in Kingston einschreibt, „weil es dort mehr gut aussehende Frauen gab“, kommentiert Vance Musks Ziele. In der hartnäckigen Verfolgung der modelgleichen Justine Wilson, mit der er später als Ehefrau fünf Kinder hat, zeigt sich bereits ein typischer Charakterzug des Abenteurers: „Ein Nein ist für diesen Mann keine Antwort. Man kann ihn nicht loswerden. Er nimmt etwas in den Blick und sagt: „Das wird mir gehören.“ „Stück für Stück hat er mich für sich gewonnen“, wird Wilson im Buch zitiert. Ebenso unerschütterlich zeigt sich Musk später in dem Bemühen, etablierte Branchenzweige ohne Vorwissen und Erfahrung zu erobern und ihnen seinen Stempel aufzudrücken.
Mit 24 Jahren bereits mehrfacher Millionär
Zusammen mit seinem Bruder gründet er 1995 die Internetfirma Zip2, eine Art gelbe Seiten mit Kartennavigation, die 1999 von Compaq gekauft wird. Von den 307 Millionen Dollar erhält Musk 22 Millionen und ist damit bereits mit 24 Jahren mehrfacher Millionär. Danach gründet er X.com, ein Unternehmen, mit dem er ins Online-Banking einsteigen will und aus dem nach der Fusion mit dem Konkurrenten Confinity der Internetbezahldienst PayPal hervorgeht. 2002 kauft Ebay das Unternehmen und Musk ist um 250 Millionen Dollar reicher. Symptomatisch ist dabei, dass Musk arbeitet wie ein Besessener, um mit Software und innovativer Technologie neue Standards im Internet zu setzen.
2002 hebt der Science Fiction-Fan Musk dann in den Augen seiner Kritiker völlig ab: Er gründet die Raketenfirma „SpaceX“, mit der er der NASA, Lockheed und Boeing zeigen will, dass sich Expeditionen in den Weltraum zu einem Bruchteil der Kosten durchführen lassen, die etablierte Unternehmen dafür aufwenden. Als Visionär mit dem Gespür für neue Märkte steigt Musk zudem bei dem Unternehmen Tesla ein, das Elektroautos herstellt. In beiden Unternehmen passen allerdings die großsprecherisch verkündeten Zeitpläne und Versprechungen, die Musk für seine Erfolge vorgibt, nicht zur Realität. Alles verzögert sich, das Geld wird knapp und die Anleger im Zeichen der Finanzkrise von 2008 unruhig. Schließlich zerbricht auch noch die Ehe mit Justine Wilson, die Details aus dem Chaos daheim frisch in ihrem Blog ausbreitet.
Vergleiche mit Comic-Held „Iron Man“
Nicht umsonst wird Elon Musk in USA immer wieder mit „Iron Man“ verglichen , dem Marvell-Comic-Helden und Alter Ego des fiktiven Multimilliardärs und Technikfreaks Tony Stark. Musks Leben zwischen Tälern und Gipfeln ähnelt Hollywoodfilmen, in denen im rechten Moment noch die entscheidende Wende kommt: So geschieht es auch im September 2008, als mit dem vierten, endlich erfolgreichen Start seiner „Falcon 1“ Rakete der Durchbruch gelingt und kurz darauf die NASA einen 1,6 Milliarden Dollar-Auftrag für zwölf Flüge zur ISS an SpaceX vergibt. Bei Tesla geht es ebenfalls weiter. Mit dem komplett vernetzten Model „S“, dessen Updates einfach per Internet aufgespielt werden, gelingt Musk der Durchbruch.
Ashlee Vance lässt den Leser an dem ambivalenten Verhalten von Musk teilhaben. Wie er durch höchste Risikobereitschaft und Faszination die besten Köpfe für seine futuristischen Ideen gewinnt und quasi wie ein Guru verehrt wird. Und wie er andererseits Mitarbeiter durch utopische Zielvorgaben, unglaubliche Härte und Arbeitsanforderungen wieder vergrault. Wie ein rastloser Wanderer und „Leonardo da Vinci des 21. Jahrhunderts“ erobert er immer neue Branchen: 2006 steigt er mit der Gründung von SolarCity in die Solarstromproduktion ein, 2013 will er mit dem Projekt Hyperloop den Fern- und Güterverkehr mit Schallgeschwindigkeit in Tunnelröhren revolutionieren, seit 2015 ist er mit der Gesellschaft OpenAl an der Erforschung künstlicher Intelligenz beteiligt und Neurlink (2016) untersucht Möglichkeiten, das menschliche Gehirn mit Maschinen zu vernetzen.
Einen Hinweis, was den selbsternannten Weltenretter möglicherweise im Innersten antreibt, gibt Ashlee Vance, wenn er an einer Stelle eine „existentielle Krise“ konstatiert, die „an jeder Faser“ von Musks Körper zu nagen scheint. Möglicherweise leidet er unter der Krankheit, mit der fast alle Superhelden zu kämpfen haben: der Verdrängung der Einsamkeit.