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Biografisches Coaching: Kriegstrauma wirkt über Generationen

Marina S. kam zu mir ins Business Coaching, um an ihrem Führungsstil zu arbeiten – das war zumindest unser Ausgangspunkt. Die Abteilungsleiterin in einem mittelständischen, pharmazeutischen Forschungsunternehmen war es leid, dass ihr ihre Leute stets „auf der Nase“ herumtanzten, wie sie es ausdrückte. Ihr Problem: Sie war sehr gutmütig, ließ vieles durchgehen, bis die Hütte hin und wieder förmlich brannte und sie sich bei Ihren eigenen Vorgesetzten rechtfertigen musste. „Du bist fachlich top, aber in der Führung zu weich“, hieß es dann immer. Das klang wie eine Drohung und hing wie ein Damoklesschwert über ihr.  In diesem Beitrag schildere ich, wie sich das ursprüngliche Business Coaching hin zum Biografischen Coaching verschob und wie dies der Klientin schließlich half.

„Ich werde menschlich oft enttäuscht, obwohl ich immer versuche, allen im Team gerecht zu werden und für jeden da zu sein.“

Sie sei einfach zu harmoniebedürftig, klagte Marina S., sie wolle es allen recht machen. Wolle, dass sich in ihrer Abteilung alle wohlfühlten, keiner benachteiligt werde, jeder Gehör bei ihr finde. Und hing nicht die Stimmung in einem Team von der Laune der Führung ab? „Ich muss doch ein Vorbild sein, meine Abteilung motivieren, auch wenn es mir selber mal schlecht geht“, hatte sie verinnerlicht. Das Feedback ihrer Mitarbeiter war in der Tat sehr positiv: Sie sei eine „ganz Liebe“, sagte man in der Firma über Marina. „Eine Führungskraft zum Anfassen“, sei sie. Brauche man jemanden zum Zuhören, galt Marina als erste Ansprechpartnerin und das kostete sie so manchen Feierabend. Sie ließ sich hinreissen, Mitarbeitern aus der Patsche zu helfen und sprang oft ein, wenn Aufgaben nicht erfüllt wurden. Was auch zu Hause für Probleme sorgte: Ihr Mann war es leid, dass Marina nie vor 19 Uhr zu Hause war. Dass auch am Wochenende Mitarbeiter anriefen und sich Marina selbst beim Abendbrot mit der Familie den Kopf über die Probleme von Herrn Huber und Frau Maier aus ihrem Team zerbrach. Was Marina S. größten Kummer bereitete, war die Tatsache, dass sie menschlich oft enttäuscht wurde und das Gefühl nicht loswurde, ausgenutzt zu werden – sie konnte sich aber keinen Reim darauf machen. Schließlich war sie doch durchaus beliebt in der Firma, ihr Team mochte sie, die Praktikanten hingen ihr am Rockzipfel (weil sie sich auch noch diesem Thema persönlich annahm) und sie war eine gefragte Fachautorin in Wissenschaftsverlagen, eine Expertin auf ihrem Gebiet.

Der Führungsstil ist nicht das eigentliche Problem

Nun wollte sie also an ihrem Führungsstil arbeiten. Ihr Wunsch: Forderungen besser durchsetzen können, ohne schlechtes Gewissen „Nein“ zu Aufgaben zu sagen, die ihr Team erledigen soll. Sie wollte mehr respektiert werden, allerdings hatte sie Angst davor, man könne sie dann nicht mehr nett finden. Man könnte diesen Fall nun einfach verbuchen unter: „Typische Führungsprobleme von Frauen.“ Eines vieler Vorurteile gegenüber weiblichen Führungskräften hält sich nämlich hartnäckig: Sie seien wie Marina S. Zu stark auf Harmonie im Team fokussiert, könnten nicht hart durchgreifen. Man könnte jetzt als Coach an Marinas kommunikativen Stärken arbeiten, an ihrem Selbstwert und an ihrer Körpersprache. Wir können ihr Profil schärfen, Rollenkonflikte klären. Das haben wir auch getan. Allerdings hörte ich aus ihren Erzählungen auch immer wieder heraus: „Das war schon immer so bei mir. Ich wollte immer nett zu allen sein und diejenige sein, zu der man kommt, wenn man jemanden zum Zuhören braucht.“ Sie sei auch in ihrer Kindheit und Jugend immer zuvorkommend, lieb und hilfsbereit gewesen, sie sei zu Gunsten ihrer jüngeren Geschwister oft Kompromisse eingegangen, habe auf eigene Aktivitäten verzichtet, um ihre Mutter im Haushalt zu entlasten. Dabei wollte sie alles richtig machen und sei oft gelobt worden. Trotzdem hätte die Mutter letztlich die beiden lauten, etwas frecheren und fordernden kleinen Brüder bevorzugt, wenn es um Wünsche oder Zuneigung ging.

Die Familiengeschichte gibt Aufschluss

Als Marina S. von ihrer Kindheit erzählte, habe ich weiter nachgehakt. Schließlich hat sie ja auch erfolgreich studiert, erklomm früh die Karriereleiter. Sie wirkte auf mich nicht wie jemand, der sich als Kind nicht entfalten durfte. Das sei auch nicht der Fall gewesen, schilderte sie: Jedoch seien gute Leistungen nötig gewesen, um den Eltern nahe zu kommen. Gute Noten und ihre Hilfsbereitschaft hätten ihr deren Aufmerksamkeit gesichert. Die Mutter sei immer etwas „labil und depressiv“ gewesen, während den Vater trotz eines sicheren Jobs bei der Bahn Existenzängste geplagt hätten. Marina habe immer gefühlt, erzählt sie, dass sie ihren Eltern dabei helfen könne, „besser mit den Sorgen fertig zu werden“, indem sie Streit vermied, mithalf, nicht groß auffiel und sich um die Geschwister kümmerte. Das funktionierte freilich am besten, wenn sie sich anpasste, Stimmungen auffing, zuhörte, statt selbst Forderungen zu stellen. „Heute sind meine Eltern stolz auf mich“. Sie sei die erste Akademikerin in ihrer Familie und noch dazu in guter Position. Mutter und Vater hätten selbst nicht studieren können, denn beide seien mit ihren Familien deutsche Kriegsflüchtlinge gewesen, in Auffanglagern auf dem Land groß geworden und hätten früh arbeiten müssen.

Biografisches Coaching deckt Ressourcen auf

Marina ist, wie uns beiden im Laufe des weiteren Coachings klar wurde, kein Opfer ihres persönlichen Führungsstils. Sie ist ein typisches Kind der Kriegskinder und hat seit frühester Kindheit unbewusst ein schweres Paket an Einstellungen, Glaubenssätzen und Schuldgefühlen geschultert, das sich im Job als vermeintlich störendes Harmoniebedürfnis und als Konfliktscheue bemerkbar macht. Unser anfängliches business-orientiertes Coaching ging nun mehr in Richtung Biografiearbeit: Inwieweit kann ihr heute nützlich sein, was sie als Kind verinnerlichte? Was kann sie als Ressource nutzen und wo darf sich die erwachsene Marina erlauben, direkter und fordernder aufzutreten? Im Rollenspiel fühlten wir zum Beispiel Marinas Angst auf den Zahn, sie könne sich durch „Neinsagen“ unbeliebt machen und andere vor den Kopf stossen. Sie erkannte nach einer Weile, dass Abgrenzung und mehr Vehemenz, wo erforderlich, sehr befreiend und entlastend sein kann. Dass sie ihr Team dadurch zu mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung erzieht, was für Mitarbeiter wiederum motivierend und anerkennend ist.

Für Marina S. war es noch ein längerer Weg hin zu einer Führungsperson, die zwar sympathisch ist und gemocht wird, aber eben auch respektiert. Das Biografische Coaching hat ihr geholfen, sich selbst in einem anderen Licht zu sehen und zu erkennen, dass mit ihr nichts „falsch“ ist. Sondern dass die Ängste ihrer Eltern sie nicht länger belasten müssen. Dass sie ihre eigene Geschichte leben darf und nicht verantwortlich ist für die Versäumnisse oder Bewältigungsstrategien der Eltern.

Kriegserfahrungen der Vorfahren prägen ganze Generationen

Ohne diese aufklärenden, biografischen Elemente hätte das Coaching insofern zwar auch „funktioniert“, doch Marina wäre immer wieder eingeholt worden von der Frage „warum handle ich so, wie ich es tue?“ So kann sie sich selbst im Kontext ihrer eigenen Lebensgeschichte sehen und weitere Fragen klären, die ihr auch privat weiterhelfen. Biografisches Coaching war in diesem Fall der passende Schlüssel und ich bin sicher, als Baustein hilft es in vielen weiteren Fällen, ob der ursprüngliche Coaching-Anlass nun ein berufliches oder privates Problem war. Was wir im Coaching stets mitbedenken sollten ist: Die heutigen (Top-)Manager und Führungskräfte, Spitzenpolitiker und gesellschaftlichen Entscheider – hauptsächlich Frauen und Männer zwischen 45 und 65 Jahren – sind alle Kriegsenkel. Wie würden sie ohne diesen Hintergrund handeln, wie würden sie denken?

Wenn Sie sich auch mit Biografischem Coaching beschäftigen, oder selbst Interesse daran haben, mit ihrer Biografie zu arbeiten: Ich freue mich auf Ihre Nachricht und den Austausch mit Ihnen.

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