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Scrum Day 2017 in Stuttgart – Teil II

Der zweite Tag des Scrum Day 2017 in Stuttgart begann mit einer Keynote von Jeff Sutherland, dem Co-Erfinder von Scrum (Ken Schwaber ist der andere).

Jeff weist an mehreren Stellen auf Lean Management als wichtige Idee für die Ursprünge von Scrum hin, das bedeutet heute, dass Firmen, die lean arbeiten, sich deutlich leichter tun, Agilität im Unternehmen einzuführen. Die nächste Revolution werde von Agil, Lean und Scrum getrieben – eine interessante Aussage. Jeff belegte dies eindrucksvoll mit den Berichten aus seinen Kundenprojekten – Skalierung von Scrum auf Unternehmensebene. Als erstes Beispiel nannte er GE und im allgemeinen das Internet der Dinge als großen Treiber. Neben GE führt er noch 3M und SimpliVity als Unternehmen an, die Scrum im großen Stil einführen.

Nur fraktale Ansätze skalieren!

Jeff zeigte auf mehreren Folien die Methodik, um Scrum erfolgreich zu skalieren. Dabei müsse die Skalierung immer fraktal erfolgen, so würden z.B. mehrere Scrum Teams mit einem Scrum of Scrum Team vernetzt und so begleitet. Auf einer höheren Ebene komme dann noch ein Executive Action Team hinzu, das Impediments in der Organisation beseitige. Analoge Konstrukte gebe es für den Product Owner, auch sie folgten dem fraktalen Grundgedanken.

Ein Beispiel: Saab Technologies z.B. führt um 7.30 Uhr die daily scrums in den Teams durch, um 7.45 Uhr das daily der scrum of scrums, die Kette läuft weiter und endet um 8.30 Uhr mit dem daily des EAT. Jeff belegte die Methodik mit eindrucksvollen Beispielen von Toyota, BMW, Tesla und Maersk. Maersk z.B. stehe vor der Aufgabe, die Kosten um 50% zu reduzieren, um weiter konkurrenzfähig bleiben zu können.

Er stellte weiter verschiedene Ansätze vor, um die Produktivität in Unternehmen weiter zu verbessern. So würden z.B. 64% der Features in Software nicht oder nur selten genutzt, was immense Möglichkeiten birgt.

Am wertvollsten fand ich den Blick auf „FrAgile“, die Idee dass eine zusätzliche Übersetzungsebene eingeführt wird, um das Management, das noch in Wasserfall-Methodik denkt, vor Agilität zu schützen! Diese Übersetzung müsse aufgelöst werden, um hohe Produktivität zu erzielen. Jeff berichtete mehrfach aus Kundenprojekten, dass der Vorstand zu Scrum Mastern ausgebildet wurde und die Leiter der Funktionsbereich zu Product Ownern. Das Ziel sei nicht, die Hierarchie im Unternehmen abzuschaffen, sondern mehr auf Befähigung (enabling) und Selbstorganisation von Teams zu zielen. Das Management unterstützt dabei wo nötig.

Auch hier konnte ich wieder viele Impulse und Ideen für meine Kunden (und damit natürlich auch für mich selbst) mitnehmen. Danke Jeff, auch für das Signieren deines Buchs. Ich bitte die Autoren immer, den Kern ihres Buchs in einem Satz zu ergänzen. Jeff kam meiner Bitte prompt nach: „The essence of scrum: finish the sprint early!“

Nexus als Framework zur Skalierung von Scrum

Als nächstes kam für mich der Einstieg in eines der Frameworks, die aktuell für den Einsatz von Scrum mit vielen Entwickler-Teams vorgesehen sind: Nexus (https://www.scrum.org/resources/scaling-scrum)

Nur zur Klarstellung: es geht hier bei der Skalierung um die parallele Entwicklung von mehreren Teams an einem Produkt, d.h. die Teams arbeiten für mindestens einen Sprint zusammen (an einem Integrated Done Document). Marion Gekstatter und Felix Schad von andrena objects stellten uns kurz den Nexus-Ansatz vor und berichteten aus ihrer umfassenden Projektpraxis als Scrum Master. Ein sehr interessanter Vortrag, aber für einen Nexus-Neuling wie mich noch etwas zu hoch vom Level.

Was ist bitteschön jetzt Agile Coaching?

So, jetzt ging’s mal wirklich um Agile Coaching in den nächsten Vorträgen…

Sylvius Gerber von Veraenderungskraft aus Hannover startete mit einem schönen Rückblick auf Peter Senges Buch „The 5th Discipline“, in dem er den Ansatz der lernenden Organisation beschreibt. Sylvius meinte, das Ziel von Agile Coaching sei schlicht die lernende Organisation, wie von Senge beschrieben, und nennt die fünf Faktoren Selbstentwicklung, Mentale Modelle, Gemeinsame Vision, Teamlernen und Denken in Systemen.

Was braucht es also, um eine lernende Organisation zu werden? Neben einer Kultur der kontinuierlichen Verbesserung seien dies definierte Lernstrukturen, Prozesse für intuitiven Wissenstransfer sowie schließlich „echte Führungskräfte“. Diese Themen würden im Rahmen einer entsprechenden Organisationsentwicklung angegangen.

Das eigentliche Agile Coaching geschieht dann im Rahmen des Agile Dojo, in dem Wissen vermittelt wird, Fähigkeiten gestärkt werden und gemeinsam agile Praktiken eingeübt werden. Unterm Strich werden die Kunden also befähigt, die Veränderung in der Organisation selbstorganisiert und eigenverantwortlich umzusetzen.

Ich fühle mich gerade wie zu Hause

Christian Richter und Glenn Laming von NovaTec Consulting erzählten von den Erfahrungen, die sie seit einiger Zeit in einer Systemischen Coaching-Ausbildung machen. Dabei hätten sie einen gewissen Steve deShazer und seinen Ansatz des lösungsfokussierten Coachings kennengelernt. Da musste ich einfach schmunzeln, denn ich bilde ja seit Jahren angehende Business Coaches in diesem Ansatz aus.

Chris und Glenn führten dann noch ein exemplarisches lösungsfokussiertes Coaching vor, in dem ein Scrum Master von seinen Problemen im Umgang mit einem Stakeholder berichtet und dank des Coachs eine für ihn passende Lösung findet. Als Ausbilder muss ich den beiden bestätigen, dass sie das lösungsfokussierte Coaching gut verinnerlicht haben und auch die Wunderfrage sauber gestellt wurde.

Ein inhaltliches Highlight für mich war der Vortrag „Enable Agile Leadership durch Management 3.0 und Delegation Boards“ von Jürgen Dittmar von der Firma cocondi. Jürgen belegte nochmal die Notwendigkeit agiler Führung mit einem kurzen Blick auf die VUCA-Welt und das bekannte Cynefin-Modell, das die meisten Scrum Muster und Product Owner sicher kennen. Die Frage ist natürlich, wie funktioniert Management in einer zunehmend komplexen Welt? Unternehmen wollen heute insgesamt agil werden. Jürgen fragte zu Recht nach, ob das wirklich notwendig sei.

Unternehmen tappten heute oft in die „Kompliziertheitsfalle“: um auf komplexe Probleme reagieren zu können, würden sie immer noch mehr Prozesse, Abläufe, Werkzeuge etc. schaffen – bis sich schließlich niemand im Unternehmen mehr „bewegen“ könne, sprich, Entscheidungen treffen, Themen vorantreiben etc.

There is a lot of bad scrum out there“

Er stellte etliche typische Phänomene in Organisationen wie z.B. das extrem beschäftigte Management, das aber keine Entscheidungen trifft, oder ständige Umpriorisierung von Anforderungen vor. Die berechtigte Frage ans Management sei, warum es dann nichts gegen diese Phänomene unternehme. Jürgens Meinung zufolge fehle es neben agilen Strukturen, Prozessen, Tools & Trainings an einer nachhaltigen Organisationsentwicklung durch das Management (!). Die meisten Unternehmen würden nur reorganisieren, aber nicht das Unternehmen weiterentwickeln. Wie Jeff Sutherland immer wieder betont „There is a lot of bad scrum out there“…

Scrum ist nach Jürgens Meinung eine REVOLUTION, der alte Werte, Glaubenssätze, Paradigmen und Machverhältnisse zum Opfer fallen würden und müssen.

Gebt den Führungskräften eine neue Vision!

Somit stellt sich natürlich die Frage, ob es noch Manager gebe nach der agilen Transformation – das Thema würde aktuell überhaupt nicht adressiert. Wenn man z.B. auf das SCARF-Modell der Motivatoren schaue (Status, Certainty, Autonomy, Relatedness, Fairness) würden Manager bei ALLEN Faktoren deutliche Einbußen feststellen, also müsse man sich fragen, wie man die Führungskräfte zu einem positiven Erfolgsfaktor bei der Einführung von Scrum machen könne. Sprich: welche Perspektive könne man den Managern bieten?

Jürgen schlug ihnen in seiner Keynote die Vision einer vertrauensvollen Arbeit an der Umgestaltung und kontinuierlichen Verbesserung der Organisation vor. Einer sinnvollen und effektiven Arbeit, die die Kunden begeistert und den Unternehmenserfolg sichert.

Jürgen Dittmar

Auf dieser Basis baute er die Brücke zu Management 3.0 und Jurgen Appelos gleichnamigen Buch. Management 3.0 stelle eher ein Mindset und allgemeine Prinzipien vor mit vielen einzelnen Praktiken und Tools. Wir lernen noch das Delegation Board als Werkzeug kennen.

Doch zurück zur neuen Rolle des Managements: die Führungskräfte müssen die Organisationsentwicklung hin zu einer agilen Organisation übernehmen, dazu müssen sie Zielkonflikte und Impediments ausräumen, insbesondere die informellen Rollen wie Product Owner, Scrum Master und Teams fordern und fördern und Rahmenbedingungen für Selbstorganisation vorgeben. Dies sei ziemlich viel Arbeit, auch wenn es z.T. andere Schwerpunkte als die bisher gewohnten Management-Aufgaben sind.

Auf der (erfolgreichen) Suche nach dem heiligen Gral

Im vorletzten Vortrag weihte uns Peter Götz (bei dem ich meine Ausbildung zum Scrum Master gemacht habe) in die Tafelrunde des Heiligen Grals ein. Peter begann mit der Geschichte und erzählte und in einem herrlich mit Playmobil-Figuren bebilderten Vortrag vom jungen Parzifal und seiner Geschichte. Ich fiel vor Lachen ein paar Mal fast vom Stuhl, Peter brachte es wie gewohnt gut auf den Punkt. Letztlich ging es um die Frage nach einer guten definition of done, einem zentralen Begriff in Scrum. Peter gab uns nach einer interessanten Diskussion seine Antworten als Schriftrolle in einem kleinen Gral mit – was für eine herrliche Idee.

Der Scrum Day schloss mit einer letzten Keynote von Jeff Patton – von der ich leider nicht mehr viel mitgenommen habe, weil ich nicht allzu spät auf den Heimweg wollte. Nun, der Mensch denkt und Gott lenkt – ich war um kurz nach 18 Uhr in Filderstadt losgefahren, stand dann vor der Geislinger Steige nach einer Vollsperrung der A8 für knapp 3 Stunden im Stau, um dann schließlich kurz vor Mitternacht endlich daheim anzukommen. Waren schon zwei lange Tage, dieser „Scrum Day“ – aber sehr lohnend.

Mein Bericht vom ersten Tag findet sich ebenfalls im Blog

Bildnachweis: M. Blaschka